Einsam und verlassen...

An manchen Tagen fühle ich mich einsam. Wirklich einsam. Sie hatte mir versprochen, jeden Morgen zu kommen. Gegen 8 Uhr, hatte sie gesagt. Vielleicht gegen 9 Uhr. Spätestens um 10. Doch ich warte, seit 4 Tagen warte ich. Aber sie ist nicht aufgetaucht...

Wie hatte ich mich gefreut, als sie vor 2 Monaten das erste Mal das Zimmer betrat. Da stand sie, in ihrem leuchtend roten Hemd, mit diesem vorsichtigen Lächeln auf dem Gesicht.  Das aufging, als ihr Blick durch meine Räume schweifte. Fast liebevoll streifte mich ihr Blick und ich wusste sofort, dass sie mir gefällt. Sofort. Wie ihre Finger über meine Platte glitten, langsam, prüfend. Sich wohlig an mich schmiegend. Alles kitzelte in mir, und ich wusste, sie wird mich nehmen, mich endlich wieder nutzen, mich, der ich nun schon seit Monaten, ach, seit Jahren hier stehe - und warte.

Und ja. Sie hat mich genommen. Entstaubt, geölt, ins Licht eines anderen Raumes gestellt. Ihre Hände auf meinen Rücken gelegt und - zu schreiben begonnen. Mich endlich wieder meiner Bestimmung zugeführt, nachdem ich so lange nur nutzlos herumstand und mich fragte, welchen Zweck mein Dasein haben sollte.

Jeden Tag würde sie kommen, hat sie mir zugeraunt. Um dieses Manuskript zu Ende zu schreiben, hat sie gesagt. An dem sie seit mehr als 3 Jahren arbeitet.

 ====

"Du hast gesagt, du würdest jeden Morgen kommen. Und direkt loslegen! Aber ich warte schon seit vier Tagen, und du bist nicht gekommen... Die einzige die kommt, ist deine Tochter, um diese grässlichen Youtube-Videos zu schauen. Oder der Kleine, mit der grellen Stimme, um Yakari zu gucken. Aber Du, du kommst nicht. Kannst du mir das erklären?"

"Ach weißt du, ich wollte erst Grund und Ordnung in den Garten bringen. Die Beete müssen bepflanzt werden, der Schuppen entrümpelt, der Komposthaufen aufgebaut, der Zaun gestrichen, das Unkraut gejätet... "

"Garten? Hab ich richtig gehört? Garten? Was hat dein Garten mit deiner Arbeit zu tun? Du hast dich selbständig gemacht, als freie Autorin? Du willst schreiben. Das hast du mir wieder und wieder geschrieben. Und jetzt, wo du ENDLICH Zeit dafür hast, rennst du in den Garten, um Unkraut zu jäten?"

"Ich weiß, dass musst du nicht verstehen. Ich verstehe es selber nicht. Aber ich folge gerade endlich meinen Impulsen und meiner Lust, nachdem ich so lange immer arbeiten musste. Eingesperrt in dieses harte Korsett des Unialltages. Fühlte mich verpflichtet, meine Zeit vor dem Rechner abzusitzen. Und weil ich das Manuskript fertig bekommen wollte, kam ich auch jeden Tag zu Dir. Aber ich merke, es war nur aus Pflicht. Und jetzt will ich endlich einmal nur schreiben, wenn ich wirklich Lust habe. Und im Moment habe ich Lust auf den Garten."

"Aber du hattest mir gesagt, dass du in diesem Jahr noch das Manuskript fertig stellen willst. Und einen Verlag finden wolltest du auch. Und jetzt gehst du gärtnern? Willst du dich ablenken von deinem Traum? Dich wieder selber boykottieren?"

"Nein, ich merke nur, dass ich nicht wirklich schreiben kann, solange der Garten so durcheinander ist. Ich würde so gerne unter dem Apfelbaum sitzen und dort das Buch zu Ende schreiben. An einem Ort und auf eine Art und Weise, die wirklich glücklich macht. Nicht so erzwungen zwischen tausend Terminen, wie eine weitere Pflicht, die ich abarbeiten muss. Das spürt man auch den Texten an..."

"Was erzählst du denn da? So ein Buch verlangt Regelmäßigkeit, Disziplin. Das hast du mir selber neulich geschrieben, dass erst der Fleiß und der Wille über den Erfolg eines Autoren entscheiden. Und nicht das Talent. Also, komm endlich, und schreib!"

"Das sagt der Richtige! Neulich wollte ich schreiben. Da war ich im Flow. Jeden Tag ein drittel Kapitel, und der Text war gut, richtig gut. Endlich war ich wieder in Verbindung mit den alten Bildern, den Gefühlen. Die Worte saßen, ohne groß nachdenken zu müssen. Aber genau da hast nur jeden dritten Buchstaben geschrieben. Und jeder Arbeitsrhythmus war dahin! Da hab ich erstmal die Lust am Schreiben verloren. Weißt du wie nervig das ist, nur kryptische Buchstabenansammlungen hervorzubringen, wenn die Worte eigentlich sprudeln würden."

"Ja, tut mir leid. Aber dann gönn dir doch endlich das Geld für eine Reparatur. Und such dir nicht immer wieder neue Ausreden. Vor zwei Jahren warst du so weit wie heute. Da schon hättest du das Expose fertigstellen und an Verlage schicken können. Dich endlich trauen können. Ja, dich auch wieder dieser Gefahr der Ablehnung aussetzen können, aber beim letzten Mal hast du doch auch gemerkt, dass es gar nicht so schlimm war. Im Gegenteil. Dass sie dein Buch sofort wollten, es dir förmlich aus der Hand gerissen haben. Wovor hast du denn jetzt wieder Angst?"

"Ich weiß doch auch nicht, warum ich immer so zögerlich bin... Vielleicht hab ich wirklich Angst, Angst vor der eigenen Courage. Vor dem Erfolg. Dass es klappen könnte... Manchmal denke ich aber auch, so ein Buch ist wie ein guter Wein. Der muss erst gären und dann im Eichenfass liegen und reifen. Bevor er Tiefe und Farbe entwickelt. Dafür braucht es aber die richtige Umgebung und - Zeit. Die brauchte eben auch ein gutes Buch."

"Das ist nur eine weitere Ausrede von Dir!"

"Nein, ich glaube nicht. Ich spüre, dass sich jetzt erst alles gesetzt hat. Dass ich endlich den inneren Zusammenhang der drei Teile des Buches erkennen kann. Sehe, was die treibende Frage ist, das Thema, das mir nie richtig klar war. Ich hatte zwar die Kapitel geschrieben, aber der ganze Bogen, der innere Zusammenhalt fehlte. Genauso wie das Ende. Jetzt kenn ich es. Jetzt kann ich es schreiben..."

"Aber du hattest doch auch vorher schon alle Kapitel. Du schreibst sie nur noch einmal. Ich sehe keine grundlegende Veränderung. Du machst Dir was vor... "

"Ja, aber jetzt weiß ich, was ich tue. Und ich lebe das Leben, von dem ich vorher nur träumte. Von dem ich nur vor hatte, es zu leben. Es aber nicht geschafft habe. Weil ich lieber weiter in der Arbeit und der Pflicht versank. Und mich quälte, auch mit dem Schreiben. Anstatt der Lust, dem Drang zu folgen. Und das Leben zu geniessen. Und eben in den Garten zu gehen, wenn er mich ruft. Und zu schreiben, wenn es auch mir herausbricht. Du wirst sehen. Wie wunderbar ich im Garten werde schreiben können. Wenn du mich dann nicht wieder im Stich lässt.... Dann überlass ich dich ganz den Kindern und kauf mir einen Neuen!"

"Ist ja gut. Ich sag ja gar nichts mehr. Aber eines musst du mir versprechen. Dass du jetzt endlich das Expose fertig stellst und Verlage kontaktierst. Wenigstens telefonisch. Nächste Woche! Um endlich den nächsten notwendigen Schritt auf dem Weg Richtung Publikation zu gehen. Sonst kann ich dich nicht mehr ernst nehmen!"

"Versprochen! Aber diese Woche widme ich noch ganz dem Garten! Und wenn das fertig ist, dann bin ich innerlich ruhig und werde los legen. Heiliges Indianehrenwort!"

"Ich glaube Dir! Aber kein Yakari mehr, bitte!!!"


Kommentare

Beliebte Posts